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Das Entwicklungsmodell

geführte Situation nach dem Affolter EntwicklungsmodellÜber Jahre wurde das Interaktionsgeschehen bei gesunden Kindern und Erwachsenen sowie bei Menschen mit beeinträchtigter Entwicklung und mit auffälligem Verhalten beobachtet und analysiert. Der "Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung" (SNF) finanzierte während 10 Jahren mehrere Querschnittuntersuchungen und ein longitudinales Forschungsprojekt dazu. Auf der Basis dieser Analysen war es möglich, allgemeingültige Aussagen sowohl zu gesunder als auch zu gestörter Entwicklung und auffälligem Verhalten zu machen. Daraus wurde ein eigenes Entwicklungsmodell erarbeitet. Die Hauptaussagen dieses Entwicklungsmodells lassen sich folgendermassen zusammenfassen:

Entwicklung beruht auf einer Interaktion zwischen Person und Umwelt. Das heisst, dass die Entwicklung einerseits durch die Aktivitäten der Person, andererseits durch andere Menschen und Geschehnisse (Umwelt) beeinflusst wird. Interaktionsgeschehen begleitet den Menschen sein ganzes Leben lang. Wesentliche Bedingung für angemessene Interaktionen ist die Fähigkeit, eigene Ziele zu verfolgen und mit auftretenden Problemen entsprechend umzugehen. Dabei sind Hypothesenbildungen und eine entsprechende Organisation der Informationssuche, der Wechsel der Informationsart und deren Quellen notwendig.

Das taktil-kinästhetische System (das ‘Spüren’) hat durch seinen Stellenwert innerhalb der Interaktion und seine Beziehung zu anderen Wahrnehmungssystemen eine herausragende und führende Bedeutung für die Entwicklung des Menschen. Die Suche nach gespürten Informationen umfasst zwei Aspekte: zum einen die Informationssuche nach dem WO? Im Sinne von: Wo bin ich? - Wo ist meine Umwelt? und zum anderen die Informationssuche nach dem WAS? Im Sinne von: Was geschieht?

Gespürte Interaktionserfahrungen innerhalb problemlösender Alltagsgeschehnisse werden als Wurzel der Entwicklung angesehen. Erst eine Ausweitung oder Neuorganisation der Wurzel ermöglicht ein Fortschreiten in der Entwicklung, d.h.: das Hervorbringen neuer Entwicklungsleistungen und -stufen. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass kein direkt-hierarchischer Zusammenhang zwischen einfacheren und komplexeren Leistungen, bzw. früheren und späteren Entwicklungsstufen besteht. In diesem Punkt unterscheidet sich dieses Entwicklungsmodell wesentlich von anderen Entwicklungsmodellen (z.B. Teilleistungsmodellen). Es wird vielmehr angenommen, dass die Leistungen bzw. Stufen in direktem Zusammenhang mit der Wurzel stehen.

So werden verschiedenste Störungen, angeborene wie erworbene (z.B. nach Schlaganfall und Schädel-Hirn-Trauma), in Bezug zur Gesamtentwicklung gesehen und aus dieser Sicht erklärt. Beispielsweise werden damit Störungen im sprachlichen Bereich, im (Wieder-)erwerb von Kulturtechniken, oder bei Schwierigkeiten, die eine sinnvolle Bewältigung des Alltags nicht (mehr) zulassen, als Ausdruck von umfassenderen Störungen interpretiert. Diese werden als Störungen der zentralen Organisation der Wahrnehmung bezeichnet, wobei im Mittelpunkt Störungen der taktil-kinästhetischen, intermodalen oder serialen Wahrnehmung stehen.