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Januarbrief 2014

"Die Idee ist zuletzt doch immer stärker als die Umstände."

(Albert Schweitzer)

Liebe Mitglieder

Und wenn sich die Umstände allmählich normalisieren, bleibt sogar Zeit, um sich der Idee an sich und den vielen Ideen, die in einer Organisation wie der APW auftauchen, zu widmen.
So habe ich mich zu Beginn des Jahres unter anderem damit beschäftigt, endlich einmal wieder die aufgelaufene Fachliteratur zu sichten. Dabei ist mir aufgefallen, dass im Jahr 2014 die UN-Konvention über die Rechte des Kindes 25 Jahre alt wird. Sie feiert also sozusagen Jubiläum. Zeit für einen kurzen Blick auf diese wichtige Vereinbarung aus der Sicht von Kindern in besonderen Situationen.
Die Konvention garantiert allen Kindern ein Recht auf gleiche Behandlung, unabhängig von Herkunft, Religion oder Geschlecht und das Grundrecht auf Überleben und persönliche Entwicklung.
Die Verantwortlichen in den westlichen Ländern haben in den vergangenen Jahren auf den verschiedenen Ebenen daran gearbeitet, die Grundsätze der Konvention in die nationale Gesetzgebung zu integrieren. So wurde in Deutschland die Kinder- und Jugendhilfe reformiert und in der Schweiz entstanden neue Regelungen zum Kinder- und Erwachsenen-Schutzrecht, die in der Schaffung von Kinder- und Erwachsenen-Schutzbehörden ein vorläufiges Ende fanden. Im Rahmen der Schulpolitik fusst insbesondere der Gedanke der Inklusion auf dem in der Konvention verankerten Recht auf gleiche Behandlung. Doch hier liegt, wie so oft, der Teufel im Detail. Die Idee der Inklusion beinhaltet, dass „Verschiedenheit zur Normalität“ wird. Alle Kinder, ob behindert oder nicht behindert, besuchen z.B. die gleiche Schule, treiben im selben Verein Sport und verbringen ihre Ferien gemeinsam. Dabei werden die Kinder mit Behinderungen nicht „mitgeschleppt“, sondern die Situationen werden so gestaltet, dass ihnen eine echte Teilhabe ermöglicht wird. Was würde das also für Kinder mit Problemen in der Wahrnehmung bedeuten? Kinder mit Problemen in der Wahrnehmung brauchen unter anderem eine ruhige Lernumgebung, kleine Lerngruppen und oft auch mehr Zeit als andere Kinder, wenn sie sich auf eine neue Aufgabe einstellen müssen. Diesen Bedürfnissen müssten die Schulen angepasst werden – sicher keine ganz einfache und schon gar keine billige Angelegenheit. Wie sieht daher ihre Schulrealität aus? Im Regelfall besuchen diese Kinder hier in der Schweiz und auch in Deutschland Regelklassen, in denen selten weniger als 20 Kinder beschult werden. Damit sie dem Unterricht folgen können, steht ihnen bei „besonderen Bedürfnissen“ eine Integrationshilfe für ca. 6 – 8 Lektionen pro Woche zur Verfügung (die Anzahl der Stunden variiert je nach örtlichen Regelungen). Wenn mehrere Kinder mit besonderen Bedürfnissen in einer Klasse sind, kann sich die Zahl der Hilfspersonen erhöhen, sodass die Anzahl der Personen im Klassenzimmer in einem solchen Fall eher gegen 30 als gegen 20 tendiert. Lernt das Kind trotz dieser Unruhe „zu gut“, droht ihm alsbald eine Aberkennung seines Sonderstatus und die Hilfe wird abgezogen. Dann muss es mit einem Unterricht, der auf die Bedürfnisse der Mehrheit der Kinder ausgerichtet ist, alleine zurechtkommen. Dies bedeutet unter anderem einen Unterrichtsrhythmus, der seinen Möglichkeiten oft nicht entspricht. Eine Mutter eines Kindes mit Problemen in der Wahrnehmung berichtete mir neulich: „Mein Sohn lernt zur Zeit, eine Arbeit zu beginnen und wieder wegzulegen. Immer, wenn er es geschafft hat, zu erfassen was von ihm gefordert wird und sich daraufhin zu organisieren, beginnt im Unterricht eine neue Phase.“ So wird aus Gleichbehandlung Gleichmacherei und das in der Konvention über die Rechte des Kindes verbriefte Recht auf persönliche Entwicklung in Frage gestellt.

Auf eine andere Charta von grosser Bedeutung aber zurzeit nur nationaler Verbreitung sind wir im vergangenen Herbst aufmerksam gemacht worden. Im November erhielten wir Post von unserer Dachorganisation pro infirmis. Die zuständige Kontaktperson fragte an, ob die APW bereits die Charta zur Prävention von sexueller Ausbeutung unterzeichnet habe. Als Reaktion auf die Bekanntgabe des grössten Missbrauchsfalls in der Behindertenarbeit in der Schweiz haben zwölf Verbände, Organisationen und Institutionen am 25. November 2011 in Bern die Charta zur Prävention von sexueller Ausbeutung, Missbrauch und anderen Grenzverletzungen unterzeichnet und den Medien vorgestellt. Sie fordern eine Null-Toleranz-Politik und setzen vor allem bei den Mitarbeitenden und bei der Stärkung der Personen mit besonderem Unterstützungsbedarf an. Ihre wichtigste Botschaft lautet: «Wir schauen hin! Und zwar gemeinsam.» (www.charta-praevention.ch). Diese Anfrage hat mich kurz aus dem Konzept gebracht. Ich habe mich gefragt, wieso wir die Charta tatsächlich noch nicht unterzeichnet haben. Aus vielen Gesprächen weiss ich um das hohe Verantwortungsbewusstsein, das die Therapeuten und Therapeutinnen im Affolter-Modell® auszeichnet. Die Körpernähe der Arbeit nach Affolter führt zu einer grossen Sensibilität und Aufmerksamkeit für die engen Grenzen und die Verletzlichkeit körperlicher Integrität. Wahrscheinlich war uns die Sache einfach zu selbstverständlich.

À propos Selbstverständlichkeiten.

Eine vernünftige Website ist heute ebenso eine Selbstverständlichkeit für eine Organisation wie die APW wie gutes Informationsmaterial in gedruckter Form. Umso mehr hat es uns in den vergangenen zwei Jahren umgetrieben, dass die Website von Mal zu Mal fragiler und unübersichtlicher wurde. Jetzt haben wir uns entschieden, für die Neugestaltung einen Fachmann einzuschalten, der die Schwachpunkte beseitigen und neue Impulse geben soll. Während er also die äussere Form in die Hände nimmt, beschäftigen wir uns mit den Texten. Dazu gibt es zwei „Baustellen“. Während die Übersetzung ins Französische bei vielen Texten bereits erfolgt ist, müssen sich unsere Kolleginnen und Kollegen in Skandinavien und im italienischen Sprachraum immer noch durch deutsche Texte kämpfen. Nun haben wir jemanden gefunden, der bereit ist, sich an die Übersetzung ins Englische und ins Italienische zu machen. Glücklicherweise ist das kein Fachmann. So fällt es in den Besprechungen viel mehr auf, dass wir eine sehr eigene Sprache sprechen und für „Outsider“ selbst innerhalb der deutschen Sprache ziemlich viel Übersetzungsarbeit erforderlich ist. Dies widerspricht nun dem Anliegen einer Website diametral. Das bedeutet: Jede Rückfrage des Übersetzers ist ein Auftrag zur redaktionellen Bearbeitung. Wenn ihr darüber hinaus noch Hinweise habt, nehmen wir diese gerne entgegen. Dabei haben wir aber auch eine Bitte an euch. Der Gestalter der Website hat uns wiederholt darauf hingewiesen, dass eine Website ohne Fotos eine „Bleiwüste“ ist, die ein Besucher nur allzu schnell wieder verlässt. Deshalb benötigen wir dringend Fotos aus dem (therapeutischen) Alltag, die wir veröffentlichen können. Bitte sendet die entsprechenden Exemplare an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.. Denkt daran, die Website ist auch eure Visitenkarte!

Und wo wir schon bei Visitenkarten sind: Immer wieder werden wir gefragt, ob es gutes Informationsmaterial über die Anwendung des Affolter-Modells® in der Praxis gebe und wo man dieses erwerben könne. Nun sind wir mit den vorhandenen Materialien auch nicht besonders glücklich und haben uns daher im Vorstand entschieden, „uns“ zum Jubiläum der APW im Jahr 2015 einen Film zum Affolter-Modell® zu „schenken“. Zu diesem Zweck haben wir Eva Roselt Zogg angefragt, die den wunderschönen Film zum TAU-Projekt gedreht hat. Sie hat sich gerne zur Zusammenarbeit bereiterklärt, und im Februar werden wir in einer Sitzung die Leitplanken für das Projekt setzen. Dann heisst es, Gönner und Sponsoren finden. Auch hier sind wir für jede Anregung dankbar. Im Herbst 2015 werden wir dann hoffentlich den fertigen Film im Rahmen der Jubiläumsfeier in St. Gallen präsentieren können.

Den aktuellen Stand des Projektes und auch sonst allerlei Neues könnt ihr dem Newsletter entnehmen, der euch etwa alle sechs Wochen ins Haus „flattert“ – wenn wir denn eure Mailadresse haben. Drum schnell an den Computer und eine Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.. Wir freuen uns über jeden neuen Leser und jede neue Leserin. Solltet ihr diesen bereits abonniert haben, sind euch sicher die Parallelen zwischen dem letzten Newsletter und diesem Brief aufgefallen. Das ist leider nicht zu vermeiden, denn nicht alle Adressaten des Newsletters sind Mitglieder der APW und bekommen den Jahresbrief und nicht alle Mitglieder haben eine Mailadresse, an die wir den Newsletter schicken können.

Und wenn ihr noch nicht genug gelesen habt, geht einmal auf www.tau-apw.ch. Dort findet ihr einen interessanten Artikel über ein Mädchen mit ASS, das mit seinen Eltern am Kurs TAU 2 teilgenommen hat. TAU 3 ist in den Startlöchern. Ab sofort können sich interessierte Familien anmelden.

Doch nicht nur wir sind fleissig. Kurse zum Affolter-Modell® werden mittlerweile europaweit veranstaltet. Wir haben im vergangenen Jahr Zertifikate für Kurse von Spanien bis Dänemark ausgestellt und neben Deutsch und Französisch als Kurssprachen werden auch immer mehr Kurse in Englisch gegeben. Auch wenn der Wind auf dem Weiterbildungsmarkt rauer wird, die Idee einer Weiterbildung speziell für die Belange von Menschen mit Problemen in der Wahrnehmung überzeugt immer noch Fachleute und Laien.

In diesem Sinne haltet auch ihr an euren Ideen fest. Bleibt gesund und der APW gewogen!

Brigitte Pastewka
Co-Präsidentin